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Corporate Storytelling – Die Kraft von Gründungsgeschichten

Corporate Storytelling – Die Kraft von Gründungsgeschichten

Wurzeln in die Zukunft schlagen  – Die Kraft von Gründungsgeschichten für Unternehmen

Von allen Geschichten, die in Unternehmen schlummern, sind mir die Gründungsgeschichten am liebsten. Sie erklären, warum das Unternehmen existiert und was es besonders und einzigartig macht. Für mich sind sie das Herzstück eines jeden Storytellings, denn geschickt erzählt schlagen sie die Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft. Wann immer ich die Geschichten eines Unternehmens erzählen darf, werfe ich entsprechend einen besonders gründlichen Blick auf die Anfangszeit. 

Immer sind es einzelne Personen, die den Impuls zu einer Gründung haben. Diese prägen die Organisation mit ihrer Haltung, ihren Werten und ihrer biografischen Gewordenheit nachhaltig. Je stärker ihre Persönlichkeit, je festere Haltungen und Glaubenssätze sie haben, um so mehr formen sie den Archetypen der Firma. Die meisten Unternehmen, so meine These, sind auf ewig von dieser Gründungspersönlichkeit (bzw. im Fall von Partnerschaften den Gründungspersönlichkeiten) geprägt. Ich gehe soweit zu behaupten, dass sich die Gründungspersönlichkeiten nie ganz aus dem Unternehmen „ausradieren“ lassen, selbst wenn eine Organisation es, aus welchen Gründen auch immer, darauf anlegen würde. Das gilt natürlich ganz besonders für kleinere und mittelständische Unternehmen. Freilich gilt, dass die Bedeutung des Gründers in der Regel abnimmt, je älter das Unternehmen wird. Entsprechend lässt sich mit zunehmendem Alter der Organisation ‚herauszoomen‘ und die Geschichte vom Gründer ein Stück entkoppeln, wenn es gewollt ist.

Erfolgreiche Unternehmen aus dem Silicon Valley wissen, wie lohnenswert es ist, eine inspirierende Gründungsgeschichte zu erzählen. Der Garagenmytos gehört zu den beliebtesten Topoi besonders von bekannten Softwareunternehmen. Aber auch jenseits von Garagenmythen mit ihrem „Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär“-Narrativ lassen sich aus Gründungsgeschichten wahre Schätze bergen. 

 

Motivation stärken

Im Gründungsakt liegt stets eine besondere Energie. Dieses Feuer, das im Laufe der Zeit bisweilen nur noch auf Sparflamme brennt, kann durch die Gründungsstory wieder entfacht werden. Für viele Unternehmen, die aus der Startup-Phase hinaus sind, gilt, dass Mitarbeiter die Ursprünge rund um die Gründung nicht mehr kennen. Für Mitarbeiter und eventuell Nachfolger ist es äußerst spannend und erkenntnisreich zu erfahren, mit welchem Mut, welchen Blessuren und welchem Durchhaltevermögen der Gründer sich am Ende des Tages als erfolgreich erwiesen hat. Hier gilt die einfache Formel: Je größer die überwundenen Hindernisse, um so besser die Geschichte. Das Motivationslevel von Mitarbeitern steigt in der Regel rapide, wenn man diese Geschichten erzählt.

 

Fundgrube für den Purpose

Start with Why! Dieses Postulat von Simon Sinek ist inzwischen so etwas wie der common sense bei Kommunikationsabteilungen und HR- sowie Marketing-Experten. Gründungsgeschichten sind eine besonders wertvolle Quelle auf der Suche nach dem Why. Gerade für Unternehmen, die bereits länger am Markt sind, die sich in Veränderungsprozessen befinden und sich dabei auf das Fundament ihrer Organisation stützen wollen, ist die Beleuchtung der Gründungsphase und der Vorgeschichte der Gründung eine Schatzkiste: Unter welchen Voraussetzungen wurde das Unternehmen gegründet? Wie wollte man sich damals gegenüber den Mitbewerbern abheben? Welche Engpässe wollte man mit dem Unternehmenszweck lösen? Welche Haltung lag dieses Ansinnen zu Grunde?  In der Beantwortung dieser Fragen kommt man dem Purpose oft schon erstaunlich dicht auf die Spur.

Vor einigen Jahren durfte ich die Geschichten einer Vermögensverwaltung erzählen. Nachdem wir die Gründungsgeschichte publik gemacht haben, erhielt ich eine Email von einem jüngeren Mitarbeiter, in der er beschrieb, welche Aha-Erlebnisse er speziell aus der Gründungsgeschichte gezogen habe. Damit würde er begreifen, warum das Unternehmen tickt wie es tickt. Und – das für mich schönste – er glaube, nun mit einem ganz neuen Selbstverständnis und -bewusstsein auf die Kunden zugehen zu können. Hier zeigt sich die starke Erklärungskraft von Geschichten.

 

Der Kit des Unternehmens

Gründungsgeschichten können eine stark identitätstiftende Funktion übernehmen. Das gilt besonders dann, wenn das zur Gründung führende Schlüsselerlebnis eng mit dem Unternehmenszweck verbunden ist. So wie bei Airbnb, wo die damaligen Studenten aus einer akuten Geldnot ihre Zimmer an Gäste vermietet haben und darauf ihr Geschäftsmodell aufbauten. Oder wie bei Meetup, das der Gründer Scott Heilferman der Geschichte zufolge als Reaktion auf die Angriffe vom 11. September gründete, um die dort erlebte Kraft der Gemeinschaft wiederzubeleben bzw. zu skalieren.

 

Zukunft gestalten

Eine Geschichte ist wie ein Vexierbild. Um ihre Kraft zu behalten, um Menschen zu inspirieren und um sich dynamisch dem Stand der Organisation anzupassen, sollte sie immer wieder neu erzählt werden, je nachdem, welche Frage man an sie stellt bzw. welche Botschaft man mit ihr vermitteln möchte. Es gibt unterschiedliche Zeitpunkte in der Biografie eines Unternehmens, an denen die Erzählung der Gründungsstory besonderen Sinn ergibt: Angefangen von der Startup-Phase über eine starke Wachstumsphase bis hin zur Veränderung des Geschäftsmodells oder dem Generationswechsel.  Ein schönes Beispiel für die Neuerzählung der Gründungsstory habe ich beim Club Med gefunden. Der Club wurde von Gèrard Blitz, einem aktiven Widerstandskämpfer und Kommunisten  nach dem zweiten Weltkrieg aus einer großen Utopie heraus gegründet („Die Welt, so wie sie ist gefällt mir nicht, ich möchte eine neue erschaffen!“, s. Gilbert et Serge Trigano, La saga du Club, Paris 1998, S. 17.) . Der erste Club war ein einfaches Zeltlager und sollte all denjenigen offen stehen, die „weder Snobs noch Otto-Normalbürger waren, und die die Liebe zur Natur und die Verachtung für mondäne Exzesse eint. Ein Club, in dem Fröhlichkeit, Liebe und Freundschaft ausgelebt werden sollte und in dem noch dazu immer die Sonne scheint (s. Gilbert et Serge Trigano, La saga du Club, Paris 1998, S. 18.) Diese Geschichte wurde damals in Wort und Bild erzählt. Heute, wo der Club vor allem Familien als Zielgruppen entdeckt hat, wird die Geschichte etwas anders erzählt. Während die leicht subversive Note verschwunden ist, wird die Geschichte von einem Gründer erzählt, der Glück als die oberste Maxime im Leben betrachtete und mit Le Club folglich einen Glücksort schaffen wollte (s. die offizielle Website des Clubs). Diese Narrative passt zur neuen strategischen Ausrichtung des Clubs. Sie ist ebenso wahr wie die vorherige, nur wird eben ein Aspekt hervorgehoben, der besser zur aktuellen Ausrichtung des Clubs passt und mit dem sich aktuelle Mitarbeiter und Kunden besser identifizieren können. 

 

Freude, Sonne, Freundschaft. Die Anfänge des Club Meds. Bildquelle: corporate.clubmed/?cat=15

 

Aufbau und Struktur von Gründungsgeschichten

Nun war viel von der Relevanz und dem Nutzen von Gründungsstories die Rede. Aber wie sehen solche Geschichten nun aus? Im Grunde folgt jede Gründungsgeschichte dem Muster der Heldenreise (vgl. Joseph Campbell, The Hero with the Thousand Faces, 1949) und kann danach aufgebaut werden. Der Held ist in dem Fall der Gründungsgeschichte gleichzusetzen mit dem oder den Gründer(n) bzw. der Organisation als Ganzer. 

Oft steht am Anfang einer Gründungsgeschichte ein einziges Ereignis: Eine Krise, ein Versagen, eine Enttäuschung oder ein Schicksalsschlag. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Meetup-Story rund um die Ereignisse des 11. Septembers. Es kann aber auch ein identifiziertes Leid sein, das sich biografisch erklären lässt, wie zum Beispiel bei der Gründungsgeschichte der SOS-Kinderdörfer: 

Die Kinderdörfer wurden vor 70 Jahren, kurz nach Ende des Weltkriegs von Hermann Gmeiner in Innsbruck gegründet. Gmeiner stammte aus einer kinderreichen Vorarlberger Familie und verlor seine Mutter im Kindesalter. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Medizin, um Kinderarzt zu werden. Schockiert von der kasernenartigen Unterbringung der Kriegswaisen war es sein Bestreben, diese Verhältnisse zu verbessern. Zusammen mit einer Gruppe engagierter Frauen und Männer gründete er die Societas Socialis. Das war die Basis für die erfolgreiche Verbreitung der SOS-Kinderdorf-Idee weltweit: Heute ist SOS-Kinderdorf in 135 Ländern tätig mit vielfältigen Angeboten und Programmen für Kinder, Jugendliche und Familien in Not. (Zur Story der Organisation s. die offizielle Website der SOS Kinderdörfer sowie die Biografie von Hansheinz Reinprecht, Verdammt zum Leben – das Abenteuer einer Idee: Hermann Gmeiner und seine SOS-Kinderdörfer, 1976.)

Im Folgenden möchte ich, basierend auf der idealtypischen Gründungsstory der SOS-Kinderdörfer eine Struktur dafür anbieten, die mit den aufgeworfenen Fragen und Think-abouts  als Blaupause für die eigene Konzeption einer Gründungsgeschichte dienen kann.

 

1. Once upon a time…

Wie sah das Leben vor der Gründung aus? Welchem Problem stand man gegenüber? 

Hermann Gmeiner, der Gründer der SOS-Kinderdörfer, stammt aus einer kinderreichen Vorarlberger Bauernfamilie. In frühester Jugend verlor er seine Mutter.

 

2. “Eines Tages…”

Gab es einen ausschlaggebenden Anlass, ein Schlüsselmoment für die Gründung? Besonders überzeugend sind hier konkrete (biografische) Ereignisse oder generelle Missstände, die man mit der Gründung abschaffen wollte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt Gmeiner als angehender Kinderarzt die Not und Verlassenheit vieler Kriegswaisen sowie die Missstände in den überfüllten, kasernenartigen Kinderheimen der Nachkriegszeit.

 

3. “Und dann…”

Was folgte auf dieses Ereignis? Welche Hürden und Hindernisse galt es zu überwinden? Gab es einen „Schwellenhüter“, der die Gründung verhindern wollte oder einen Mentor, der die Sache befeuert hat?

Wichtig: Der Konflikt ist das Salz in der Suppe einer jeder Geschichte. Sogenannte „Schwellenhüter“ sind daher – zumindest im Nachhinein –  besonders willkommene Protagonisten einer Gründungsstory.

Gmeiner versammelt ein Team engagierter Frauen und Männer um sich herum. Gemeinsam gründen sie 1949 in Innsbruck den Verein „Societas Socialis (später SOS-KINDERDORF.) Sein Eigenkapital in Höhe von  600 Schilling reicht allerdings nicht, um ein eigenes Heim zu bauen. Banken verweigern ihm Kredite, Financiers sucht er vergebens. Allerdings hatte er auch zahlreiche Förderer und Unterstützer: In Innsbruck stellte man ihm einen Abstellraum kostenlos zur Verfügung, den er als Büro umfunktionierte. 1949 schrieb er an Tiroler Gemeinden und versuchte, dem Verein kostenlos ein Grundstück für den Bau eines Kinderdorfes zur Verfügung zu stellen.

 

4. “Bis endlich…”

Wer oder was hat bewirkt, dass man den Weg trotz Hindernissen erfolgreich umsetzen konnte?

Hier ist Raum für die Nennung von Wegbereitern und Mentoren, für gesammelte Erfahrungen, innere Wendungen und Learnings. 

Der Bürgermeister der Stadt Imst, Josef Koch, begeisterte sich für die Ideen Gmeiners. Er bot dem Verein ein städtisches Grundstück an. So konnte der Grundstein für das erste Haus, genannt “Haus Frieden“, gelegt werden. Dieses Haus ist das erste von 233 Häusern, die Gmeiner im Laufe seines Lebens errichtete.

 

5. „Heute“

Zum Schluss macht sich eine Beschreibung des Ist-Zustands gut, der den Faden zum Anfang wieder aufgreift. Hier ist auch der richtige Platz für die Mission, für ein zusammengefasstes, plakatives und in sich konsistentes „Why“ der Organisation.

“Millionen Freunde in aller Welt”, sagte Hermann Gmeiner, “haben mir geholfen, Kindern in den SOS-Kinderdörfern ein Zuhause zu geben. Wir machen Niemandskinder zu Glückskindern. Ihr Lachen, ihre Lebensbejahung ist uns Dank!

 

Das oben genannte Beispiel zeigt, dass Geschichten immer Werteträger sind. Im Fall von SOS-Kinderdöfer geht es um Nächstenliebe und um Solidarität. Dies kommt besonders deutlich im resümierenden letzten Satz zur Geltung. Mit diesem hat man die Chance, noch einmal ganz plakativ auf die Mission der Organisation hinzuweisen.  Ganz wichtig ist, dass die Gründungsgeschichte kongruent ist zu den übrigen Geschichten, die das Unternehmen von sich erzählt. Wird das beherzigt, sind die besten Voraussetzungen dafür geschaffen, die Historie für eine erfolgreiche Zukunftsgestaltung, basierend auf den Wurzeln, Werten und Visionen des Unternehmens, zu nutzen.